Natürlich war auch ich am Donnerstag im Film „Napoleon“.
Ich hatte mir bewusst vorher keine Kritiken angehört oder
gelesen.
Ich wollte mich da überraschen lassen.
Generell bin ich ein Mensch, der bei Historienverfilmungen
historische Ungereimtheiten oder gar grobe Schnitzer ausblenden kann.
Wenn der „Zeitgeist“, das „Gefühl für die Epoche“ stimmt,
ist es mir egal, was jetzt im Detail falsch ist.
Knöpfchen kann ich anderswo zählen, wenn mir danach ist.
Aufgrund dieser Einstellung waren mir die von den
Schotten in Braveheart getragenen Kilts egal.
Störte es mich nicht, dass bei „Der letzte Mohikaner“ der
Uniformschnitt der Briten falsch war.
Suchte ich bei „Der Patriot“ nicht nach historischen
Fehlern, sondern freute mich einfach, dass hier das Vorgehen der Bataillone in
der Linie, und der vorherige Beschuss der Artillerie einfach sehr gut
dargestellt worden war.
Auch die völlig falsche Abbildung von WN 62 am Omaha
Beach in „Der Soldat James Ryan“ war mir egal.
Dass bei der Neuverfilmung von „im Westen nichts Neues“
der Saint-Chamond Panzer die falschen Laufrollen hatte, juckte mich jetzt
ebenfalls nicht.
Auch nicht, Jahrzehnte zuvor, dass bei dem Film „Patton“
noch moderne Panzer als „Modelle“ für die historischen Panzer herhalten
mussten.
Der Fantasy Tiger in „Stoßtrupp Gold“ hatte sogar einen
solchen Charme, dass er mittlerweile von Warlord Games als Modell
herausgebracht wurde. Also auch egal.
Ich könnte diese Liste jetzt weiterführen, aber ich will
es bei diesen Beispielen belassen.
Entscheidend für einen historischen Film sind für mich
die folgenden Faktoren.
Erstens, dass Produzenten und Regisseure überhaupt den
Mut haben sich an einen historischen Film und ein vermeintlich nicht
zeitgemäßes Thema heranzuwagen. Wer sich dann auch noch traut einen solchen
Film in Überlänge zu produzieren, und den Zuschauer somit zwingt Stunden in
seinem Kinositz zu verbringen, der hat Respekt verdient. Einfach nur deshalb,
weil er an sein Projekt glaubt, und weil es ihm egal ist, dass angebliche
Statistiken ja heutzutage nachweisen, dass der digitale Mensch sich maximal 45
Minuten konzentrieren kann.
Zweitens, dass der Film so gedreht ist, dass er die
modernen filmischen Mittel, die heute zur Verfügung stehen, so nutzt, dass eine
Verbesserung der Bilder im Vergleich zu den oftmals zitierten „Klassikern“ der
Filmgeschichte auch klar auf der Leinwand erkennbar ist.
Drittens, dass die Hauptdarsteller passen.
Viertens, dass neben den Hauptdarstellern auch die
Charaktere anderer historischer Personen ausgeformt werden.
Fünftens, dass der Film als solches in der Lage ist die
Story „fließen zu lassen“, somit also abrupte Brüche vermeidet und den
Zuschauer durch die Epoche führt.
Sechstens, dass Kostüme und Drehorte des Films schlüssig
sind und auch stimmen.
Punkt 1, 2 und 3 kann „Napoleon“ auf der Habenseite
verbuchen.
Punkt 4 und 5 nicht.
Punkt 6 nur bedingt.
Ich bin jetzt schon seit zwei Tagen am Grübeln, denn im
Grunde will ich mein krasses negatives Urteil, dass ich nach dem Kinobesuch
hatte, revidieren.
Aber… es gelingt mir nicht wirklich.
Das Hauptproblem des Films, jedenfalls für mich, liegt
darin, dass ich eine klare Ausformung des Themas vermisse.
Der Film galoppiert durch Napoleons Leben. Das ist
definitiv ein Problem. Nicht ohne berechtigten Grund merken viele Kritiker an,
dass es hier sinnvoller gewesen wäre, eine Serie zu drehen, anstatt einen Film.
Selbst die 158 Minuten lange Kinoversion des Films ist einfach zu kurz, um alle
Problematiken zu fassen.
Dann ist der Wechsel zwischen Liebesfilm und Actionfilm
nicht gelungen.
Persönlich hätte ich mir gewünscht, nachdem ich diesen
Film gesehen habe, dass man die Schlachtszenen einfach weggelassen hätte, weil
sie eh völlig falsch sind.
Die Ausformung der doch sehr speziellen Beziehung
zwischen Napoleon und Josephine hätte mich tatsächlich erfreut.
Mehr Politik, mehr Intrigen.
Nur mal ein Beispiel. Zwar kommen im Film der Bruder
Napoleons Lucien, seine Mutter Laetitia und auch die Kinder Josephines Hortense
und Eugène vor, aber was ist mit der ganzen anderen, doch sehr intriganten
Sippschaft.
Für einen heutigen Film Potential ohne Ende. Wer das in
Perfektion sehen will, der soll sich die Serie „Domina“ anschauen, die das
Leben der Gattin Kaisers Augustus nachzeichnet.
Vor dem Anschauen des Films hätte ich übrigens anderes
gesagt.
Natürlich habe ich auf große Schlachten gehofft.
Auf die entsprechenden historisch genauen
Schlachtabläufe. Immerhin zeichnet Ridley Scott für Gladiator und Black Hawk
Down verantwortlich; und in diesen beiden Filmen sind die Schlachtszenen ja
richtig gut.
Allerdings hätte ich auch vorgewarnt sein können.
Immerhin landen in seinem Film „Robin Hood“ französische,
mittelalterliche Landungsboote an den Küsten Englands an, und ja, da gehen
tatsächlich die Landungsklappen am Bug auf. So wie bei Landungsbooten im
Zweiten Weltkrieg.
Eine filmische Darstellung, die mich damals mit offenem
Mund zurückließ.
D-Day im Sherwood Forrest.
Unfassbar.
Genau das, im übertragenen Sinne, erleben wir jetzt leider
auch bei Napoleon.
Soldaten in Schützengräben, die vor einem Zeltlager
kämpfen.
Abgedeckte Kanonen bei Austerlitz.
Rennende Soldaten im Bajonettkampf.
Und, und, und…
Da wird die napoleonische Kriegsführung gar nicht
erkannt.
Das weite Operieren, die Blöcke massiver Bataillone, der
Einsatz der berittenen Artillerie.
Kommt alles nicht vor.
Bei Ridley Scott kämpft man in „Wagenburgen“. So ähnlich
wie in einem Western.
In der ersten Schlacht, Toulon, wirkt das noch anders.
Zwar sehr weit interpretiert, aber doch stimmig.
Filmisch, nicht historisch, stimmig.
Die anderen gezeigten Schlachten – Pyramiden, Austerlitz,
Borodino, Waterloo – eine Katastrophe.
Da stimmt einfach nichts.
Das hat tatsächlich das Niveau einer kleineren
Reenactment-Veranstaltung.
Da rennen unterschiedlich uniformierte Soldaten im
Uniformmix herum, genauso als ob sie einen Schützengraben des Ersten Weltkriegs
stürmen wollten.
Da wird – filmtechnisch super dargestellt, mit viel Drama
und großen Effekten – die Eisfläche der Satczaner und Mönitzer Teiche zum
eigentlichen Schlachtfeld bei Austerlitz. Das erinnert dann schon an „King
Arthur“, wo Dagonet, dargestellt vom leider viel zu früh verstorbenen Ray
Stevenson, die Eisfläche mit seiner Axt zerhackte und die bösen Sachsen ertrinken
ließ.
Muss ich hier erwähnen, dass die Darstellung falsch ist?
Ich glaube nicht.
Der Beschuss der Pyramiden. Unsinn. Ging nicht, weil zu
weit weg.
Aber es sieht halt auf der Leinwand nett aus, wo die
Spitzen der Pyramiden anfangen zu bröckeln, und wohl herabfallende Steine den
gegnerischen Anführer töten.
Borodino war so schnell erledigt, dass ich gar nicht erkannte,
was das sein sollte. Die Schlacht ergab sich aus der Zeitreihe, nicht aus der Darstellung.
Na und Waterloo???
Ein echtes Waterloo.
Die größte Niederlage im Feld, als die größte Niederlage
des Films.
Einfach vergessen.
Die Schlachtszenen kann nur jemand gut finden, der sich
nie mit der napoleonischen Kriegsführung beschäftigt hat.
Mich hat es vom Niveau an die Verfilmung der
Lederstrumpfgeschichten mit Helmut Lange erinnert.
Aber das war Fernsehen in einer anderen Zeit, und nicht
Kino mit den heutigen Möglichkeiten.
Wie man es anders und besser machen kann, haben „Der
Patriot“ und vor allem die Darstellung der Schlacht bei Gaugamela in
„Alexander“ gezeigt.
Das muss heute als Maßstab gelten.
Dass man dann auch noch Napoleon aufs Pferd setzt und
persönlich ins Schlachtengetümmel reiten lässt, ist natürlich totaler Nonsens.
Vor allem muss man das auch nicht.
Der wütende Napoleon, gespielt von Rod Steiger im Film
„Waterloo“ ist so viel überzeugender.
Da sieht und erkennt man den Feldherrn, den enttäuschten,
verzweifelten, wütenden Feldherrn.
Und um das darzustellen, muss man nicht völlig sinnfrei den
Kaiser im gemischten Kavalleriepulk, bestehend aus ein paar Husaren, Dragonern
und Kürassieren herumgaloppieren lassen.
A propos Feldherr.
Obwohl ich Joaquin Phoenix irgendwie als sehr gute Wahl
für die Rolle empfinde, gelingt es ihm nicht den Feldherrn, Kaiser und
Politiker überzeugend darzustellen.
Was in Erinnerung bleiben wird, ist vor allem, dass
Napoleon seine Frau in einer ganz speziellen Form von „Speedsex“ zehn Sekunden
von hinten weghämmert, er im Vorfeld seine Avancen grunzend vorträgt, er über
Leitern und Treppen stolpert, und sich dann irgendwo nach 1,5 h Filmzeit die
Krone aufsetzt.
Wird man so Napoleon gerecht?
Nein.
Auch wenn ich persönlich ja bekennender Napoleon Fan bin – Vive L’Empereur -, hätte es mich nicht gestört, wenn man sein Leben in diesem Film sehr kritisch dargestellt hätte.
Sogar antinapoleonisch wäre für mich o.k. gewesen, denn
das wäre eine Frage von Sichtweisen.
Aber das hier grenzt dann doch an Propaganda und
Diffamierung.
Nicht bezogen auf den ganzen Film; denn es gibt auch
viele gute Szenen.
Aber ich befürchte, dass nur das oben beschriebene
hängenbleiben wird;
Und das ist sehr schade.
Die Darstellung der Jospehine durch Vanessa Kirby ist
dagegen extrem gut gelungen.
Jedenfalls empfinde ich das so.
Und weil sie die Rolle eben so gut spielt, hätte ich mir
persönlich eher das Familiendrama gewünscht, und nicht diesen Genremix zwischen
Schmalz und falscher Action.
Um noch einmal zu den obigen Punkten zurückzukommen.
Nur die Personen von Barras und Talleyrand bekommen einen
gewissen Platz in der Geschichte.
Alle anderen stehen nur als Statisten herum. Somit wird
Punkt 4 nicht erreicht.
Punkt 5 scheitert, weil dann doch zu viele Sprünge im
Film sind. Dieses Problem könnte der angekündigte Director’s Cut abdämpfen.
Lösen wird er die Problematik nicht. Da bin ich mir sicher.
Punkt 6 wird generell erreicht. Die Kostüme stimmen, die
großen Schauplätze, aber….
Die unhistorischen Schlachten sind einfach zu schlecht
recherchiert. Da stimmt dann der Look überhaupt nicht.
Übrig bleibt also der Mut des Produzenten und Regisseurs
überhaupt einen Film wie Napoleon zu drehen (Punkt 1). Ich hatte mich im Vorfeld
echt gefragt, wer geht denn da eigentlich ins Kino??? Nur wir?? Die Historiker,
Wargamer, Modellbauer, Geschichtsinteressierten?
Bei mir im Kino war das nicht so. Viele junge Leute
zwischen 20 und Mitte 30. Viele Paare. Aber was denken die jetzt über Napoleon??
Ehrlich gesagt, ich will es gar nicht wissen.
Übrig bleiben die opulenten Bilder, das Filmische an sich
(Punkt 2). Es gibt wirklich großartige Aufnahmen in diesem Film.
Für mich die einsame
Josephine vor ihrem Schloss Malmaison, auf den Teich schauend. Fast schon ein Stillleben.
Wäre da noch Nebel gewesen, hätte ich gesagt, Mann, ein echter Casper David
Friedrich.
Übrig bleiben Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby, die als
Schauspieler ihre Rollen annehmen und auch gut performen; leider – wie oben
dargestellt – oftmals an den historischen Tatsachen vorbei (Punkt 3).
Mir wird vor allem die Szene der Krönung in Erinnerung
bleiben und der nachfolgende Satz, den Napoleon spricht; und eigentlich, ja
eigentlich, reicht das fast schon für mich aus, um nach drei Tagen wieder
milder gestimmt zu sein.
„Ich fand die Krone Frankreichs in der Gosse. Ich hob sie
auf mit der Spitze meines Schwertes. Und nun setze ich sie auf mein eigenes
Haupt!“
VIVE
L‘EMPEREUR
P.S.: Trotz dieser Kritik würde ich mir den Film auf
jeden Fall im Kino anschauen. Die Kinoleinwand wirkt halt schon aufgrund ihrer
Größe, auch bei diesem Film. Hätte ich ihn paar Wochen später zu Hause auf der
Couch geschaut, hätte ich wohl nach einer halben Stunde nach dem Tablet
gegriffen und im Internet gestöbert.
Da ich das nicht getan habe, verdränge ich jetzt langsam
das Negative, und die schönen, gut gefilmten Szenen, die positiven Bilder
brechen sich allmählich Bahn in meiner Denke.
Und das ist gut so.
VIVE L’EMPEREUR, VIVE
JOSEPHINE