Natürlich wird dies im übertragenen Sinne verwendet. Wie wir wissen, steht die für Napoleon verloren gegangene Schlacht im heutigen Sprachgebrauch als Bezeichnung für eine schwere persönliche Niederlage.
Na ich habe mein Waterloo jetzt auch erlebt. Aber zum Glück im positiven Sinne. War ich doch Besucher der 200. Jahresveranstaltung am letzten Wochenende (18. bis 20. Juni 2015. Wir waren am 20. samstags vor Ort und am 21. Juni, wo der offizielle Part dann schon erledigt war).
Mein Bericht wird sich in zwei Teile gliedern. Zum einen möchte ich Euch meine persönlichen Eindrücke zu dem am 20. Juni veranstalteten Reenactment näherbringen. Zum anderen möchte ich Euch ein paar Bilder aus dem neugestalteten Besucherzentrum und Museum in Waterloo zeigen.
Da ich neben Bildern – ich habe aus meiner Sammlung knapp 100 ausgewählt – auch ein paar Videos online stellen will, poste ich diesen Bericht auf meinem Schinderhannes BLOG.
Aber kommen wir nun zu meinen Schilderungen.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie die ganze Geschichte begann. Traditionell fahren zwei alte Schulkameraden von mir und ich jedes Jahr einmal an irgendeinen historischen Ort. Geschichtsinteressiert wie wir sind, schlagen wir so zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir halten Kontakt – immerhin kennen wir Vögel uns schon 45 Jahre, sprich seit der ersten Klasse (huch; ich habe gerade mein Alter verraten) -, wir haben Spaß, und wir bilden uns.
Der Gesetzgeber musste für diese Tradition und Art von Kontaktpflege was Eigenes erfinden: Er nennt so etwas Bildungsurlaub. Irgendwie bin ich der Meinung, wir haben es erfunden.
Na jedenfalls saßen wir im letzten Jahr nach unserer Verdun Tour zusammen, und überlegten, was wir denn in 2015 machen sollen. Unter anderem fiel natürlich auch der Name Waterloo. Erste Reaktion war: Na ja …, da würden wir dann ja nicht zum ersten Mal aufschlagen. Richtig. Also Gedanken erst einmal in eine Schublade.
Als dann der Zeiger nach Sylvester auf 2015 umhüpfte, ging es bei uns allerdings los. Ein Buchtipp nach dem anderen wurde ausgepackt. Bücher gekauft, gelesen, in Mails kurz rezensiert. Waterloo begann sich in den Köpfen zu materialisieren. Also beschlossen wir, komm wir fahren doch hin. Wann bekommt man denn schon einmal ein solches rundes Jubiläum zu sehen.
Als wir dann recherchierten und merkten, dass die Feier eine große Nummer werden soll, mussten natürlich Karten her.
An dieser Stelle kam allerdings von mir ein Einwand. Ich bin kein großer Fan vom Reenactment. Viele Gruppen gefallen mir nicht, weil einfach die Teilnehmer in Ihrem Habitus und Ihrem Alter nicht mehr einem jungen napoleonischen Soldaten entsprechen. Mich erinnert das dann immer etwas an Fastnacht/Karneval.
Gut. Ich komme halt aus dem Rheinland und dann ist man schon etwas vorgeprägt bei der bildlichen Wahrnehmung.
Ich möchte mit diesen Aussagen jetzt keinem Reenacter entgegentreten oder ihn beleidigen. Ich weiß, dass da alle Ihr Hobby mit großem Ernst, Authentizität in der Ausrüstung und Enthusiasmus leben. Ist halt auch nur meine persönliche Meinung bzw. mein Gefühl, das ich da habe, vertrete.
Wäre ich noch zwanzig, würde ich direkt mitmachen. Denn dann passt es für mich.
Also lange Rede, kurzer Sinn: Ich war da sehr skeptisch.
Folglich kam von mir die Forderung: Nur Stehplatzkarten. Die sind billig, und wenn es mir nicht gefällt, dann habe ich halt 16,- € in den Sand gesetzt, was nicht dramatisch ist. 50,- € oder mehr für Sitzplatzkarten auszugeben, dazu hatte ich jetzt keinen Bock.
Na und außerdem stehe ich auch beim Eishockey in der Fankurve auf einem Stehplatz in einem blau-weiß-roten Block. Das passt schon. Hauptsache die Adler spielen mit. Egal ob beim Eishockey oder beim Reenactment.
Gesagt getan. Karten gekauft und am 20. morgens ging es los. Von meinem Wohnort aus, sind es ja nur 3 h bis Waterloo.
Hier bekommt die Orga von mir schon einmal einen Sonderpunkt. An der Bushaltestelle war ein Infostand, wo drei Damen uns in Englisch alles zum Ablauf – Schlachtfeld, Orga, Buslinien – erklärten.
Neben dem eigentlichen Shuttle konnte man kostenfrei auch den Linienbus besteigen. Völlig unproblematisch. Der Busfahrer gab sein GO und schwupps drin war man. Spontan, nett, hilfsbereit. Klasse.
Auf dem historischen Schlachtfeld selbst die erste Überraschung. Das neu gestaltete Museum, das einen schon von außen durch seine Dimensionen beeindruckt. Klasse Geschichte. Wenn ich da an die alte Location denke.
Mir gefällt unseres natürlich besser.
https://tabletopdeutschland.wordpress.com/2015/05/17/waterloo-in-celle-der-aufbau-eines-dioramas/
https://tabletopdeutschland.wordpress.com/2015/06/01/waterloo-in-celle-die-eroffnung/
https://tabletopdeutschland.wordpress.com/2015/06/03/waterloo-in-celle-das-diorama/
Wir gingen dann vom Löwenhügel aus Richtung Hougoumont. Das Gebäude ist ja aufwendig renoviert worden – was man auch wirklich sieht. Vor allem das wieder in eine historische Form gebrachte Nordtor, weiß zu beeindrucken.
Hougoumont kann man mittlerweile auch besichtigen, was wir allerdings auch am Sonntag nicht mehr schafften. Das hole ich dann im nächsten Jahr nach. Ist schon geplant.
Auch die drei letzten Überlebenden der Schlacht, die Bäume vor Hougoumont stehen immer noch. Trotz der Musketeneinschüsse in ihrem Bauch.
Schade fand ich es, dass man auch für die Camps – es gab ein alliiertes und ein französisches Lager -. Extrakarten haben musste, die man dann auch nicht mehr vor Ort kaufen konnte (jedenfalls nicht mehr, als wir da waren). Fand ich bisschen doof, weil ich ein paar Reenacter persönlich kenne, die man da mal hätte treffen können. Hatten wir aber im Vorfeld nicht richtig recherchiert.
Bzw. bei meinem angeborenen Geiz hätte ich mich da wohl eh gesperrt.
Es reichte allerdings für ein paar Bilder über den Zaun, na und zumindest einen der Reenacter traf ich dann auch tatsächlich am Sonntag im Foyer des Museums – was ein Zufall !! – und wir hatten dort noch ein nettes Gespräch.
Geiles Wetter übrigens zu diesem Zeitpunkt und wir setzten unseren Weg Richtung La Belle Alliance fort. Hier machten wir dann an der Victor Hugo Säule auch etwas Rast. Immerhin hat man von hier schon einen tollen Ausblick auf DAS EINZIG WICHTIGE Monument in Waterloo: Das Monument für die französische Armee. L’Aigle blessé. Mit der Erinnerung an das letzte Karree der Garde.
Alle anderen kann man getrost ignorieren.
(nur mal nebenbei bemerkt: Bei der Einweihung des Denkmals am 28. Juni 1904 waren mehr als 100.000 Zuschauer vor Ort !!!!! )
Vive l’Empereur zum ersten.
Von dort begaben wir uns ungefähr an die Stelle, an der auch Napoleon seinen Beobachtungsposten auf das Schlachtfeld bezogen hatte.
Gute Wahl.
Vive l’Empereur zum zweiten.
Extrem lustig war die englische Reisegruppe am Wegrand, die sich im „Stuhlkreis“ Erfahrungsberichte englischer Soldaten aus Waterloo vorlas, und unter Zuhilfenahme von einer Decke und Klötzchen die Schlacht gemeinsam nachvollziehen wollte. Sah sehr wichtig und very british aus. Trotzdem standen die Truppen falsch, meine Herren. Ihre Landsleute standen hinter dem Hügel, der allerdings liebevoll unter die braune Decke modelliert war. Reverse slope, you know?
Ich glaube die anwesenden Ehefrauen fanden es fürchterlich.
Ach zu den Ehefrauen … ich wundere mich ja mittlerweile wirklich, was der Eventtourismus an Zuschauern heranzieht. Bezeichnend sind dann Aussagen, wie jene, die ich z.B. in der Neuen Osnabrücker Zeitung gelesen habe.
„…Zuschauer zeigten sich nach einem Bericht des Rundfunksenders RTBF indes teils verärgert über schlechte Sicht auf das Kampfgetümmel. Insbesondere große Entfernungen und Pulverdampf hätten gestört. ..“
Na, wer sich bei so einer Veranstaltung über Pulverdampf aufregt, hat das ganze System nicht so richtig verstanden.
Nach Lesen dieser Zeilen verstand ich auch, warum ich so viele gelangweilte, genervte Gesichter unter den Zuschauern gesehen hatte. Nicht nur bei Damen, auch bei Männern, die wohl dachten, dass da bei einer Reenactmentveranstaltung was ganz anderes passieren würde. So setzten sich ca. nach einer Stunde Vorstellung schon einige Besucher von den Rängen ab.
Alleine das Gemotze direkt in meiner Nähe zwischen einem Ehemann und seiner Frau.
„Komm doch nach vorne.“ „Nein; ich will nicht.“ „Aber hier ist doch Platz.“ „Nein; ich bleib hier …Hier sehe ich aber nichts. “ Darauf folgte eine Auseinandersetzung mit einem französischen Zuschauer, der es gewagt hatte, größer zu sein als sie.
Ach; by the way. Es waren Deutsche.
Oh je. Dachte ich mir.
Eh Leute: Ich gehe in den Stehplatz, weil ich 1,92 m groß bin. Mir doch egal. Ich sehe immer. Aber wenn ich 1,60 oder 1,70 habe, dann muss ich halt mehr Kohle hinlegen, wenn ich was sehen will. Hallo?? Wann kapiert Ihr Menschen das.
Ob bei Konzerten, im Stadion, im Kino … immer die gleiche Leier.
Na ja. Aber das sind die Symptome, nicht die Ursachen. Ich würde meine Gattin und meine Töchter nicht auf eine solche Veranstaltung zwingen. Die fänden das extrem öde. Aber das weiß man doch.
Wenn nicht, sollte man sich halt vorher erkundigen.
Dennoch fährt der Eventtourist dahin und nervt die wirklich Interessierten.
Umso besser, dass aber bei den Darstellergruppen sehr viele weibliche Mitglieder auch aktiv dabei sind, die das Hobby halt auch leben, weil sie sich dafür interessieren. Na und die Damen sind halt auch mitten im Pulverdampf dabei. Klasse. Alle Daumen hoch.
Hobby ist halt Hobby. Fan ist halt Fan.
Eventtourist ist und bleibt Eventtourist. Wenn die Bespaßung nicht so ausfällt, wie ES das erwartet hat, motzt ES halt rum, oder geht einfach mitten in der Veranstaltung:
„ … Pulverdampf. Pulverdampf geht ja gar nicht.“
Unfassbar.
Vive l’Empereur zum dritten.
Dabei kamen wir an einer lustigen Reenactergruppe vorbei, die gerade mal am Straßenrand einen Deserteur von napoleonischen Gendarmen gefangen nehmen ließ, und ihn flugs standrechtlich erschoss. Geschmacklos? Keine Ahnung. Die Jungs hatten Ihren Spaß. Die Zuschauer auch. Wir sind alle komisch.
Vive l’Empereur zum vierten.
„Auf gehts Mannheim, kämpfen und siegen. Adler Mannheim ole“ , schoss es mir durch den Kopf.
Ich wollte schon die Hände erheben und laut los singen, da fiel es mir noch rechtzeitig ein. Stopp: Hier ist zwar auch vieles blau-weiß-rot, auch die Jungs, die da jetzt aufs Feld kommen. Aber … andere Veranstaltung, andere Fangesänge. Na und irgendwie auch keine Trikots, sondern Uniformen. Aber die gleichen Fahnen, und viele Adler.
Hier bin ich richtig.
Ich werde nervös; der Mund wird trocken und ein leichtes Kribbeln läuft über meine Haut.
Vive l’Empereur zum fünften.
Man muss nämlich wissen, dass der Stehplatz am unteren Ende des Veranstaltungsgeländes lag. Also quasi am Rand, im Abseits, also quasi der Assiplatz der Veranstaltung. Na und wen packt man an den Rand? Richtig. Die Verlierer. Wer sind die Verlierer. Die Franzosen und Ihre Fans.
Na und was bedeutete das für mich ?????
YEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEESSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS.
Ich war auf der Seite der Gewinner. Jungs seid mir nicht böse. Aber was interessieren mich Briten, Preußen, Alliierte. Nein mein Herz schlägt für die französische Armee und meinen kleinen, geliebten Kaiser. Na und da stand ich da und dann kam sie, die Grande Armee.
Wir hatten halt das Glück - ist ja auch historisch korrekt -, dass die Franzosen bei Belle Alliance aufmarschierten. Na und da standen wir drei dann mit sehr vielen anderen Fans ja wohl doch auf der Sonnenseite.
Drüben bei der Auswärtsmannschaft rückte man zwar auch an. Ich wusste da sind auch Teilnehmer dabei, die ich persönlich kenne und auch sehr schätze. Aber, wo halt das Herz schlägt …
Auswärtsmannschaft bleibt Auswärtsmannschaft.
Natürlich blieben die beiden Haupttribünen hinten bei der Auswärtsmannschaft bis kurz vor der Veranstaltung leer. Typisch.
Wie hatte Ideal mal in den 80er Jahren gesungen: „Du hast im Ritz gesessen. Echten Lachs gegessen. Alles ohne mich. Sekt und Grappa saufen. Mit von Hohenstaufen. Alles ohne mich!“
Das mussten dann wohl auch die Waterloo VIPs noch erst hinter sich bringen.
Da taten mir die Reenacter etwas leid. Aber ich glaube ja, dass die einfach auch Ihren Spaß hatten, und das gar nicht so registrierten, dass sie an leeren Tribünen vorbei defilierten (um 8 waren sie dann ja auch voll).
Auf unserer Seite kam zunächst die Kavallerie. Wirklich ein paar sehr schöne Truppen dabei. Vor allem die Dragoner und Kürassiere hatten es mir angetan, weil hier Einheiten gebildet worden waren, so dass teilweise bis zu 20 Reiter auf einmal ankamen. Das sah dann schon sehr gut aus.
Und dann; und dann kam ER.
ER !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Vive l‘Empeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeerrrrrrrrreuuuuuuuurrrrrrr (zum sechsten).
Mit seiner gesamten Entourage. Würdevoll. Toll uniformiert, auf tadellosen Pferden. Ahhhh.
Der Feind lauerte mittlerweile schon in den Feldern. Ich war felsenfest der Überzeugung Richard Sharpe gesehen zu haben.
Noch besser war, dass auch die alliierte Kavallerie zunächst hier an dieser Stelle das Feld betrat, und erst dann an das andere Ende der Veranstaltung ritt. Auch Old Nosey Wellington mit seinen Adjudanten schaute vorbei.
Im Grunde defilierten somit alle Reitertruppen an uns vorbei. Na und das wirkte richtig gut.
Ich habe ja mittlerweile zu den Gäulen ne echte Liebe entwickelt - auch wenn ich mich ihnen nur auf Abstand nähere, denn sie flößen mir immer noch einen großen Respekt ein -, da meine Frau reitet, und wir mehrfach im Jahr gemeinsam einen Hobbyurlaub verbringen. Sie geht morgens reiten, ich male Miniaturen an. Tolle Kombination für uns.
Außerdem fiel mir auf, dass Reenactment verblüffende Ähnlichkeit mit meinem Figurenhobby hat. Figuren in Nahaufnahmen sehen oftmals merkwürdig aus, weil man eben auch alle Fehler genaustens sieht. In 30 cm Abstand auf einem Spieltisch fallen diese Fehler gar nicht mehr auf.
Na und jetzt beim Reenactment: Die zu dicken, zu dünnen, zu alten, zu jungen, zu kleinen, zu großen Darsteller, die mich immer bei Großaufnahmen von solchen Veranstaltungen nerven, fielen mir gar nicht auf. Sie alle gaben in ihrer Gesamtheit eine tolle Einheit ab, der Eindruck stimmte, und ich fand es echt klasse.
Na gut. Dann stimmen ja schon einmal zwei Teileinheiten der Armee.
Deshalb an dieser Stelle ein …
Vive l‘Empereur zum siebten.
Na und dann kam aber der für mich alles entscheidende Moment. Die Infanterie der Franzosen rückte an.
Bei einer Einheit blieb es ja nicht. Da kamen dann schon ein paar Bataillone vorbei.
Vive l‘Empereur zum achten.
Na und dann, ja dann passierte es. Plötzlich ritt der Kaiser an den Truppen vorbei und überall hörte man es:
Das Vive l‘Empereur.
Jetzt laut. Nicht mehr nur in meinen Gedanken und Empfindungen.
Direkt schossen mir die Zeilen meines Lieblingsgedichts durch den Kopf:
„ …
Die Menschen schauten so geisterhaft
in alter Erinnerung verloren -
Der imperiale Märchentraum
war wieder herauf beschworen.
Ich weinte an jenem Tag.
Mir sind die Tränen gekommen.
Als ich den verschollenen Liebesruf,
das Vive l‘Empereur! vernommen.“
(Heinrich Heine, Deutschland ein Wintermärchen, Kapitel 9)
Es war wie im Film. Ihr kennt alle die Szene aus Bondartschuks Werk. Napoleon nimmt die Revue der Truppen ab.
1:1 nachgestellt. Chapeau.
Na und dann kam ER auch an uns vorbei, und auch wir, alle Zuschauer im Block - ich glaube, ich am lautesten - schrien Vive l‘Empereur. Na und ER grüßte uns huldvoll.
Eigentlich hätte ich jetzt schon gehen können. Sinn der Übung erreicht.
Ich war begeistert.
Was ein Glück, dass wir uns schon so früh an unserer Plätze begeben hatten. So bekamen wir schon vor der eigentlichen Veranstaltung eine coole Show geboten.
Nebenbei bemerkt, fand ich es besser, als die kommende Show. Dazu jetzt mehr.
Nachdem schon die ganze Zeit über Lautsprecher in englisch, französisch, flämisch und deutsch der Stadionsprecher seine Warnungen in den Äther geblasen hatte, ging jetzt die Musik los. Start der Nummer.
Ja. Ich wollte den ersten Kanonenschuss filmen. Ich verkrampfte schon in meinem Rücken, da ich die Kamera zu lange mit ausgestrecktem Arm halten musste (ich bin zu alt für den Mist).
Es war dann zwar nicht der erste Schuss, aber das Bild sieht doch ganz gut aus.
Das erste, was ich richtig gut fand, war der Sound. Ich hatte mir am Abend vorher, quasi von der gleichen Veranstaltung, den Livestream im Internet mal kurz angeschaut. Da kam das natürlich gar nicht rüber. Am PC hörte man halt ein undefinierbares Krächzen und Knistern.
Hier war es schon ein Krachen und Knallen.
Vor allem die rollenden Salven der englischen Linie auf der anderen Seite sahen auch aus der Entfernung super aus. Da standen ja mehrere Einheiten nebeneinander und ich konnte das erste Mal diese rollenden Salven, wie sie immer beschrieben werden, live erleben.
Lob an die Auswärtsmannschaft. Das haben sie echt gut gemacht.
Das einzige, was mich schon störte, dass da falsche Spieler auf dem Platz waren: Österreicher, Schweden, Dänen … nee. Die haben bei Waterloo nichts zu suchen. Auf den Tribünen o.k. Aber auf dem Feld. Nee. Einmal bitte auf die Strafbank. Wechselfehler nennt man das im Eishockey.
Mein Freund hatte zum Glück sein Jagdfernglas dabei. Ein klasse Ding mit phantastischer Restlichtverstärkung. Das wanderte dann immer zwischen uns Dreien hin- und her, damit wir auch die Gegenseite mal richtig nah sehen konnten.
Ausgerüstet mit diesem und unseren Kameras mit vernünftigem Zoom konnte man schon einiges erfassen.
Der zweite Waterlooeffekt, den ich für mich persönlich feststellte, war die Besonderheit des Geländes.
Zu dem Zeitpunkt konnte ich auch von der französischen Armee so gut wie gar nichts mehr sehen. Die waren quasi über eine Bodenwelle marschiert und verschwunden. Jetzt tauchten an irgendeiner Stelle einige wieder aus dem Getreidefeld auf.
Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh. Jetzt kapiere ich mal, warum Einheiten in Linie plötzlich von der Kavallerie überrascht wurden. Du siehst einfach nichts. Ich hätte auch gerne auf einem Pferd gehockt. Da hätte ich sicherlich mehr mitbekommen.
Bezeichnend war, dass von unserem Standpunkt zwar die beiden Papphäuser, die Hougoumont darstellen sollten, zu sehen waren, La Haye Sainte sich allerdings völlig unseren Blicken entzog. Diese Kulisse entdeckten wir erst am anderen Tag, als wir auf dem Löwenhügel standen und runter auf das Veranstaltungsgelände schauten.
Auch das Original La Haye Sainte hatten wir den ganze Tag über nicht gesehen (mal abgesehen von den Dächern des Hofes), da wir uns im südlichen Teil des Schlachtfeldes aufgehalten hatten.
Was mich dann auch noch begeisterte, ist genau das, was andere bemängeln:
Irrsinnig wie schnell das Schlachtfeld sich durch den Rauch vernebelte, und man auch kaum noch was erkennen konnte. Das war real und richtig gut. Mit zunehmender Dämmerung begann dann auch meine Kamera mit ihrem ganz persönlichen Streik. Die Lichtverhältnisse und der Rauch. Das war zuviel für sie.
Aber auch das Fernglas meines Freundes kam an die Grenzen.
Erwähnenswert an dieser Stelle ist auch der Geruch des Pulvers in dieser Masse. Ach, ich liebe den Geruch von Napalm am frühen Morgen.
So MUSS das aber sein meine Herren und Damen Eventtouristen. Reenactment ist der Versuch an das Original heranzukommen. Na und das hat so klasse funktioniert.
Heißt: Ich fand die Veranstaltung gut, weil mir vier wichtige Aspekte der Schlacht vermittelt wurden, die mich persönlich interessierten und sich nur schwer über Bücher vermitteln lassen: der Krach, die Sicht, der Geruch, der Aufmarsch von großen Einheiten.
Das „Schauspiel“ fand ich jetzt weniger prickelnd und auch für den Zuschauer eher konfus. Da würden mich mal die ausführlichen Kommentare von Reenactern interessieren, warum etwas so gemacht wurde, wie es gemacht wurde. Ich freue mich schon auf dementsprechende Gespräche dieses Jahr in Antwerpen oder auf der nächsten Tactica in Hamburg. Hoffentlich ist die Zeit dafür da.
Der Kampf um Pappmauern, die dann noch bei der Veranstaltung umfielen - umpf - fand ich jetzt schon sehr merkwürdig.
Aber ich denke, die Veranstalter hatten das so choreographiert, dass man von jeder Tribüne ein kleines Geplänkel mitbekommen konnte.
Mir hat das so nicht gefallen. Aber das ist auch wirklich Geschmackssache.
Ich habe Filme von den großen Gettysburg Reenactments in den Staaten gesehen. Die stellen halt Pickett‘s Charge in der Art nach, dass die Zuschauerränge quasi direkt hinter der Unionslinie sind. Da stehen dann die Yanks in ihren blauen Reihen feuern wie wild und die Rebs latschen über das Feld frontal auf die zu.
Das wirkt klasse, man sieht viel, weil die Einheiten gefühlt in gerader Linie auf einen zukommen, und man bekommt auch das Gefühl für die Taktik der Zeit, die Kolonnen und Linien.
Hier in Waterloo wirkte das irgendwie anders. Alles ging und ritt kreuz und quer. Jedenfalls empfanden meine Freunde und ich das so. Hätte man das anders machen können? Denn 5000 Teilnehmer, 300 Pferde und 100 Kanonen sind schon eine Hausnummer. Ich kann das nicht beurteilen, da ich kein Reenacter bin und solche Veranstaltungen nicht organisieren muss.
Bevor mich jetzt die Teilnehmer erschlagen. Es ist keine Kritik an Euch und Eurer Darstellung, nur an der Wirkung auf den Zuschauer. Ein Zitat von Wellington:
„Die Geschichte dieser Schlacht ähnelt sehr der Geschichte eines Balls. Der eine oder andere mag all die kleinen Ereignisse behalten haben, deren großes Ergebnis die gewonnene oder verlorene Schlacht war; keiner aber vermag sich ihrer Reihenfolge oder des Zeitpunkts ihres präzisen Eintretens zu erinnern, und darin liegt der ganze Unterschied Ihres Wertes oder Ihrer Bedeutung.“
(Keegan, Das Antlitz des Krieges, Frankfurt 1991, S. 135)
Old Nosey sagt es. Jeder empfindet es anders. Jeder hat andere Erinnerungen.
Der Infanterist, der da unten im Feld steht, endlich mal in einer Einheit von mehreren Hundert, und nicht auf irgendeiner kleinen Veranstaltung mit dem Charakter eines Mittelaltermarktes, wird das ganz anders empfunden haben.
Der Kavallerist, der auf ein echtes Karree zureiten kann, wo sich hundert Bajonette gegen ihn hochrecken. Der hat das Gefühl. Mein Gott ist das echt und klasse.
Der Artillerist, der nach dem dritten Schuss nichts mehr sieht, einen trockenen Hals bekommt und keine Luft. Der wird sich auch fragen. Hoffentlich halte ich das 2 h durch.
Es waren auch sehr viele Teilnehmer platt am Ende. Dies sah man sehr deutlich, als gegen Ende der Veranstaltung einige das Schlachtfeld verlassen mussten, weil sie auch nicht mehr konnten.
Diesem hier habe ich ganz persönlich meinen Respekt gezollt, weil ich jede Zurückhaltung vergessend, laut Vive La France rief. Ich kann schon sehr extrovertiert sein.
Er lächelte matt und die Franzosen und Wallonen um mich rum waren begeistert.
Vive l‘Empereur (am lautesten).
Mein Resümee.
Ja ich bin froh, dass ich dahin gefahren bin. Ich teile diese Meinung auch mit meinen Freunden. Die haben das genauso empfunden.
Das Positive hat das Negative bei weitem übertroffen, obwohl uns nach dem langen Marsch um das Schlachtfeld und vier Stunden stehen im Block, fast das Kreuz durchgebrochen wäre. Wir hatten extremes Verständnis für die Teilnehmer. Das war auf jeden Fall körperlich anstrengend.
Mit der Masse verließen wir dann auch gegen zehn das Veranstaltungsgelände. Auch wenn irgendwie alles schlecht ausgeschildert war, fanden wir dann am Ende doch noch einen Shuttlebus, der uns nach Waterloo zurück brachte.
Ende gut. Alles gut.
Selbst der Löwenhügel strahlte im Glanz der untergehenden Sonne.
Schade nur, dass die Franzosen wieder verloren hatten. Warum musste das Reenactment da so realistisch sein. Da hätte man doch improvisieren können.
Viel besser, als das, was da jetzt steht.
VIVE L‘EMPEREUR (zum letzten).
Koppi, ein super Bericht. Es hat wirklich Spaß gemacht um den zu lesen. Und die Bilder sehen auch schick aus. Der Vergleich mit dem Eishockey - tolle Sache! Du hast dich nur einmal bei Vive l'Empereur bei Nummer 7 durchgezählt. ;)
AntwortenLöschenMan sieht sich.
Viele Grüße,
Vasa
Mensch Vasa. Schön, dass der erste Kommentar auf meiner Seite gerade von Dir kommt. Das freut mich besonders.
AntwortenLöschenNa und was soll ich sagen. Du hast Recht!! Das mit der doppelten Sieben wird geändert.