Donnerstag, 12. Oktober 2017

Oliver Speltens - Die Verlorene Armee

Wenn man sich mit Comics des Zweiten Weltkriegs beschäftigt, ist es durchaus legitim an den Anfang einer solchen Betrachtung folgende Fragen zu stellen:


  1. Ist so etwas generell geschmacklos?
  2. Ist ein Comic das richtige Medium die Brutalität der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu rezipieren?
  3. Verkürzt der Comic nicht die Geschehnisse auf ein solches Minimum, dass seine Glaubwürdigkeit und seine Botschaft von vornherein in Frage gestellt werden können?
  4. Warum überhaupt ein Comic?






Man könnte hier noch mehr ausführen, ich möchte es aber bewusst bei diesen 4 Kernfragen belassen.
Ich selbst kam ja bereits sehr früh, als Kind, mit diesem Medium in Kontakt. An dieser Stelle meines Blogs hatte ich über die Comics von Pierre Dupuis berichtet.
https://thrifles.blogspot.de/2016/09/pierre-dupuis-der-zweite-weltkrieg-in.html

Erst durch die Neuauflage dieser Comicreihe habe ich überraschender Weise festgestellt, dass mich die Dupuis Comics genau aus dem Grund fasziniert haben, der auch heute noch für viele seiner Rezensenten bei der Bewertung seiner Bände entscheidend ist: Die Art und der Stil, wie Dupuis die Technik zeichnet, ist das Überragende. Ob Schiffe, Panzer, Flugzeuge … er trifft den Look der historischen Vorlagen. Auch bei den sehr anschaulich dargestellten Kämpfen, steht die Technik im Vordergrund.
Dupuis Geschichte zeigt zudem bedeutende Persönlichkeiten, die beim Leser natürlich einen Wiedererkennungswert wach rufen. Hitler, Stalin, Churchill, Roosevelt kommen genauso vor wie diverse Generale und Feldmarschälle beider Seiten. Gleichzeitig "schafft er" noch Persönlichkeiten, indem er fiktive Charaktere kreiert, die in den einzelnen Bänden der Comicreihe regelmäßig auftauchen, die Storyline vorantreiben und diese somit um einen persönlichen Aspekt erweitern.
Wenn auch die Comics von Dupuis in Deutschland quasi den Stellenwert einer Pionierarbeit einnehmen, sie deshalb mittlerweile auch in Neuauflage erscheinen, so kann man sie als Teil eines Trends bezeichnen.
Mittlerweile sind nämlich diverse Comicreihen zum Thema Zweiter Weltkrieg erschienen, und ich möchte Ihnen einige dieser Publikationen vorstellen.
Dabei gibt es unterschiedliche Reihen: Historische Erzählungen, fiktive historisierende Erzählungen vor einem realen Hintergrund, Technikcomics, Scifi und Weird War Comics.

Bevor ich mich der Comicserie zuwende, die ich Ihnen heute vorstellen möchte, will ich allerdings meine persönliche Meinung zu den oben genannten Fragen darlegen.
Der Comic ist eine Kunstform. Darüber ist man sich mittlerweile nicht nur in Fachkreisen einig. Indirekt beantworte ich damit auch meine Frage 1.
Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Darstellung kriegerischer Ereignisse, auch des Zweiten Weltkriegs, in Comics durchaus seine Berechtigung hat. Im Grunde ähneln Comics Gemälden. Der Künstler will seine Sicht auf die Ereignisse darstellen, und zwar unter ganz bestimmten Aspekten. Das ist durchaus legitim und nicht geschmacklos.
Eine solche künstlerische Betrachtungsart generell in Frage zu stellen, würde soviel bedeuten wie den Anspruch des Künstlers nicht zu verstehen, ja sogar ihn nicht verstehen zu wollen.
Was uns allerdings bei der Betrachtung von Comics gerade aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges irritiert, ist die scheinbare Ähnlichkeit mit Propagandaplakaten aus dieser Epoche. Ein Großteil der Plakate war eben gezeichnet, und so scheinen auch Comics auf den ersten Blick merkwürdig. Manche Kritiker werden sogar Ähnlichkeiten feststellen. Das liegt allerdings nur daran, dass eben ein gezeichneter deutscher Soldat des Zweiten Weltkriegs, eben so aussieht, wie ein gezeichneter Soldat des Zweiten Weltkriegs. Propaganda, auch neonazistische, hiervon zu trennen, und nicht mit einem Comic gleichzusetzen, der Geschichte erzählen will, ist dabei extrem wichtig.
Auch sollte nicht vergessen werden, dass der Comic schon im Dritten Reich als Propagandamittel genutzt wurde. Ich erinnere hier an die sogenannten "Bilderbogen vom Kriege".
( http://www.comicforschung.de/dtcom/2.weltkrieg.html )
Diese Tatsachen erschweren manchen Betrachtern den Zugang zur Kunstform Comic.
Der Missbrauch des Comics und der zeichnerischen Darstellung als Mittel der Propaganda, schockt so manchen Leser, und hindert ihn daran modernen Comics eine Chance zu geben.
Ein weiteres Problem ist der Stellenwert des Comics in der deutschen Medienlandschaft. 1/6 des französischen Buchumsatzes kommt aus dem Bereich Comic. In Deutschland ist das einmal gerade 1/20. Wir tun uns generell schwer mit dem Genre; das Thema Zweiter Weltkrieg erleichtert das nicht unbedingt.
Ob ein Comic jetzt überhaupt das richtige Medium ist Brutalität und Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zu rezipieren, lässt sich einfacher beantworten.
Ja; es ist zumindest EIN Medium von vielen.
Nimmt man beispielsweise die von der Fachwelt gefeierten Tardi Comics zum Ersten Weltkrieg, dann muss man Frage 2 mit Ja beantworten. Gerade bei der Rezeption der Werke von Jacques Tardi wird immer wieder darauf verwiesen, dass sein Stil ideal dafür ist das Grauen des Grabenkrieges darzustellen. Diesen Zugang zum Thema erreichen auch andere Comiczeichner.
Dass der Comic gewisse Inhalte verkürzen muss, liegt allerdings in der Natur der Sache. Auf 48-64 Seiten kann man nicht alle Aspekte ausführlich behandeln. Eine gewisse Reduktion ist somit zu erwarten, und nach meiner Meinung im Medium begründet und fast unumgänglich.
Eine solche Verkürzung kritisiert beispielsweise Ole Frahm in seinem Vorwort zum zweiten Band der Neuveröffentlichung der Dupuis Comicserie "Der Zweite Weltkrieg in Bildern". Für ihn ist die Darstellung des Holocaust durch Dupuis zu verkürzt und oberflächlich.
Die Kritik ist aus heutiger Sicht berechtigt, nur ähnelt der Comic Dupuis erschreckend der "Fachliteratur" der 70er Jahre. Auch hier wurde die Thematik des Holocaust in Publikationen über den Krieg teilweise, wenn nicht gänzlich, ausgeblendet.
Erst die neuere Geschichtsschreibung hat sich dem Thema gestellt, und auch einen anderen Zugang dazu gefunden. Man sollte somit die Rezeption der 70er Jahre im generellen, nicht nur bezüglich auf das Genre Comics, kritisieren.
Tatsache bleibt aber, dass die Frage 3 im Grunde das größte Problem darstellt. Es bleibt festzuhalten, dass hier teilweise komplexe Fragestellungen in der Tat verkürzt dargestellt werden. Das führt natürlich auch auf Seiten des Lesers zu einer gewissen Skepsis, vielleicht auch auf Ablehnung. Ich würde allerdings nicht soweit gehen und damit Glaubwürdigkeit oder Botschaft eines guten Comics in Frage stellen.
Comics aus dem Grund der Verkürzung abzulehnen, kann ich persönlich sogar nachvollziehen. Ich selbst muss allerdings sagen, dass ich keine allumfassenden, quellenkritischen Darstellungen in diesem Genre erwarte. Deshalb kann ich persönlich sehr gut mit der Reduktion umgehen.
Warum überhaupt ein Comic? Diese abschließende Frage, die ich gestellt habe, hat viele Parallelen zur Frage 1. Wenn man ein Comic als eine Kunstform betrachtet, erübrigt sich Frage 4.
Warum nicht, könnte man ganz einfach antworten.
Der Comic kann abstrahieren. Der Comic kann durch seine Bilder sprechen. Eben das ist ja die Stärke. Dabei kann gerade durch Farben, durch Malstile viel erreicht werden. Bilder prägen sich so ein; sprechen für sich, bleiben haften.
Gerade für eine junge Generation sind Comics sehr interessant, weil sie eben zur Jugend- und Pop Kultur gehören und somit auch dieser Gruppe eine Botschaft ideal näherbringen können.
Hier ist die Verkürzung sogar zielgerichtet. Sie sollte nur weiter vertieft werden. Das wäre wünschenswert.
Wie Sie meine lieben Leser anhand meiner Ausführungen unschwer erkennen können, bin ich ein Befürworter der Tatsache auch Geschehnisse der Geschichte, gerade des Zweiten Weltkriegs, auch in Comics darzustellen.
Bilder sagen oft mehr als tausend Worte; und als Kunstform prägen sie sich auch dem Leser ein.

Die Comicserie, die ich Ihnen heute vorstellen will, steht voll in der Tradition franco-belgischer Comics. Interessanter Weise schildern sie allerdings Kriegsgeschehen aus deutscher Sicht, ohne dabei kriegsverherrlichend zu sein.
Die 4 bändige Reihe "Die Verlorene Armee" von Olivier Speltens führt den Leser an die russische Front.







Die Redaktionsbeschreibung zum ersten Bad fasst folgendes zusammen: "Ende 1942 beendet Ernst Kessler seine Ausbildung als Soldat der Wehrmacht und wird an die Front nach Russland geschickt. Die brutale Realität des Zweiten Weltkriegs offenbart sich ihm nun in ganzer Härte. Ernst Kessler trifft nicht nur auf den einen, erwarteten Feind, sondern gleich auf zwei. Der russische Winter ist ein ebenso gefürchteter Gegner wie die Rote Armee. Der erste Band zeichnet Kesslers Weg aus der Ukraine durch ganz Russland bis nach Stalingrad nach. Er und seine Kameraden kämpfen gegen den Feind, gegen Partisanen, die die deutschen Versorgungseinheiten angreifen, und gegen die menschenfeindlichen klimatischen Bedingungen, die den Angriffsschwung der Deutschen zum Erliegen bringen."

Der zweite Band führt nach Kursk:





"Sommer 1943: Die Niederlage in der Schlacht von Stalingrad und der Verlust der 6. Armee haben nachhaltigen Eindruck bei den deutschen Truppen hinterlassen. Ernst Kessler und seine Kameraden liegen am Don in Stellung und liefern sich Scharmützel mit den sowjetischen Verbänden. Dabei ist dies aber nur der Auftakt zu der wohl schrecklichsten Schlacht des Zweiten Weltkriegs: dem Unternehmen "Zitadelle" im Kursker Bogen …"

Band 3 beginnt dann quasi mit den ersten Rückzugsschlachten nach Kursk:








" … Kessler und seine Kameraden beginnen die Politik der verbrannten Erde, einen schrecklichen Vernichtungskrieg, den die Deutschen nicht gewinnen konnten…."

Der letzte, erst vor kurzem erschienene, abschließende Band führt dann nach Polen und nach Deutschland:





" … Polen, 500 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, August 1944. Gezeichnet und desillusioniert vom endlosen Krieg und der Politik der verbrannten Erde befinden sich Krüger, Kessler und der Rest ihrer Kameraden auf dem Rückzug und geraten immer wieder unter Beschuss der russischen Flieger. Es gibt kaum noch Unterstützung, allenfalls junge und unerfahrene Kinder und alte Männer des Volkssturms, die eine leichte Beute für die feindlichen Scharfschützen sind. In Frankfurt an der Oder treffen die deutschen Soldaten erneut auf russische Panzer und Infanterie. Trotz zahlenmäßiger Unterzahl und mangelnder Ausrüstung bekommen sie den Befehl, die Truppen aufzuspalten, um den russischen Vormarsch auf Berlin zu stoppen. Immer mehr Gefallene und die Angst in russische Gefangennahme zu geraten vor Augen - da ist es kein Wunder, dass sich die Landser auf dem Weg nach Berlin Gedanken machen, den Krieg für sich selbst zu beenden. Doch was dürfen sie erwarten, wenn sie sich ergeben und was kommt dann zu Hause auf sie zu …"

Was kann den Leser erwarten. Es ist eine einfache Geschichte. Kein großes Hurra, keine Darstellung wichtiger Schlachten.
Geschildert werden potentielle Erfahrungen x-beliebiger Soldaten einer unbestimmten kleineren Kampfgruppe. Früher hätte man gesagt, eine Geschichte von Schütze Arsch.
Die Soldaten sind dabei nicht als Opfer, aber auch nicht als fanatische Nazis dargestellt. Speltens gelingt es mit seinen Charakteren pointiert umzugehen. Er verbindet gekonnt ruhigere Passagen mit den Schlachtbeschreibungen. Die Romane wirken dadurch sehr rund.
Zeichnerisch sind sie hochwertig. Sehr realistisch gemalt, toll koloriert.
Einige brisante Sexszenen dürften den ein oder anderen wieder stören, denn auch hier brilliert Speltens durch seinen Zeichenstil.
Genial finde ich die Entwicklung der Charaktere, die sich auch in den Zeichnungen widerspiegeln.
Das Altern der eigentlich noch jungen Soldaten zum Kriegsende hin, geschuldet dem Dauerstress von Psyche und Physis, hat Speltens perfekt ins Bild gesetzt.
Für Comicfans sind die 4 Bände nach meiner Meinung ein Muss. Wobei ich sagen möchte, dass mir der Abschlussband von der Storyline am wenigsten gefallen hat.
Man muss allerdings schon erkennen, dass auch Comicliebhaber die Zielgruppe sind. Für 60,- €, den Preis der 4 Bände, bekomme ich natürlich auch schon eine gute Überblicksdarstellung des Zweiten Weltkriegs.
Wer also keine Comics mag, der soll die Finger davon lassen.
Allen anderen wird die Reihe auf jeden Fall gefallen.


P.S.: Die Comics würde ich ja bei meinem liebsten Comichändler, Ingo Stratmann aus Bielefeld, bestellen: http://www.gratiscomictag.de/shop/moderne-zeiten/
Es gibt sie natürlich auch bei den üblich Verdächtigen, dem großen A und anderen.




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