Freitag, 8. Mai 2020

Gedanken zum Kriegsende vor 75 Jahren


Es gibt sicherlich renommiertere Seiten im Internet, die an das Ende des 2. Weltkriegs vor genau 75 Jahren gedenken, als dieser Blog hier.
Aber dennoch möchte auch ich an diesen Tag erinnern.


Berlin

Historiker, Museen und Forschungseinrichtungen haben in den letzten Jahrzehnten einiges dafür getan, dass sich das Bild des Zweiten Weltkriegs uns heute besser und detaillierter zeigt, als in der Zeit, in der ich meine Sozialisation erlebte.
Als ich 1983 mein Abitur machte, war die Zeit noch eine andere.
Wir lebten im Kalten Krieg.
Auf der einen Seite der Warschauer Pakt mit der Führungsnation Sowjetunion, auf der anderen Seite die NATO mit dem großen Bruder, den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Blöcke standen sich gerüstet gegenüber.
Sie waren ein Nachkriegsprodukt, aber ihre Strukturen begannen sich gegen Ende des Krieges herauszubilden.
Sie waren gefangen in Traditionen, die sich noch aus der unmittelbaren Kriegserfahrung heraus entwickelt hatten.


Köln

Der Gegner war für die meisten Bürger des Westens weiterhin „DER RUSSE.“
Da hatte sich seit 1941 gefühlt nichts geändert.
Da war eine Kontinuität, auch in der Denke.
Viele aus der Kriegsgeneration lebten noch.
Für diese Menschen, meine Großeltern, Tanten und Onkel, war das Kriegende gleichzusetzen mit den Begriffen Niederlage, Untergang, Flucht und Vertreibung.
Für meine Eltern war der Krieg Vergangenheit.
Nicht erwähnenswert.
Man selbst war zwar noch im Krieg geboren, erinnerte sich aber im Grunde nicht mehr daran.
Meine Eltern gehörten schon zur Nachkriegsgeneration, waren Erwachsene, die im Wirtschaftswunder der frühen Bundesrepublik aufgewachsen waren, und die andere Interessen hatten als sich mit einem vergangenen Krieg zu befassen.
Für meinen Vater war der Kalte Krieg greifbarer.
Er hatte in der Kubakrise Alarmbereitschaft gehabt.
Das war in seiner Gedankenwelt verankert und für ihn auch wichtiger, weil seine Familie hier direkt bedroht war.
In diese Welt, die eine andere als die heutige war, trat dann 1985 ein Mann, der eine sehr wichtige Rede hielt.
In meinen Augen eine der wichtigsten der deutschen Nachkriegspolitik.
Ich spreche vom damaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Richard von Weizsäcker.
Er trat in der offiziellen Veranstaltung zum Jahrestag vor den Bundestag und sagte etwas, was wir so bisher noch nicht gehört hatten:
„….Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft….“


Köln

Das war eine ganz andere Sichtweise, als die, die viele von uns kannten.
Dabei hatte von Weizsäcker aber auch die individuellen Gefühle nicht verschwiegen.
„…Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, dass Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang… Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient. Erschöpfung, Ratlosigkeit und neue Sorgen kennzeichneten die Gefühle der meisten. Würde man noch eigene Angehörige finden? Hatte ein Neuaufbau in diesen Ruinen überhaupt Sinn?“


Im Ausland wurde die Rede gefeiert.
Im Inland hatten einige damit Probleme, vor allem Parteifreunde des Bundespräsidenten aus den Reihen der CDU/CSU.
Kontroverse Diskussionen wurden geführt.
Am markigsten sicherlich die Aussage des damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß: „…die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe lähmt ein Volk!“
Historisch betrachtet handelt es sich um eine große Rede.
Denn sie könnte auch noch heute, fast unverändert, auch am 75. Jahrestag gehalten werden.
Deutschland hat sich seit 1985 entwickelt.
Mit 1945 ist es nicht mehr vergleichbar.
Der Großteil unserer Bevölkerung ist auch heute noch bereit die Ideen des damaligen Bundespräsidenten zu teilen.
Wir sind vom ehemaligen Feind, zum Partner, zum Freund vieler Nationen geworden.
Das sollte uns bewusst sein, und diese Weiterentwicklung als Nation sollten wir auch immer so weiterverfolgen.


Mainz

Ein Erinnern an den Krieg, ein selbstbewusstes Bekennen zu Fehlern der Vergangenheit, ein Bemühen um Aufklärung und weitergehenden Erforschung unfassbarer Verbrechen, so etwas ist kein Dauerbüßen, kein Knechttum oder ähnliches, wie das oftmals von Demagogen behauptet wird, sondern die Vergangenheitsbewältigung einer selbstbewussten, aufgeklärten, demokratischen Nation.
Wer das anders sieht, der kann das gerne tun; und dass er das gerne tun kann, müsste auch ihm eigentlich klar machen, wie weit Gedanken- Rede- und Meinungsfreiheit in der Demokratie gehen kann.
Zudem empfehle ich einfach diese Zahlen hier auswendig zu lernen, und sie solange aufzuschreiben, bis man es dann mal kapiert hat, wozu Krieg führt:

Kriegstote nach Staatsangehörigkeit:

Land
Soldaten
Zivilisten
Gesamt
30.000

30.000
10.000
50.000
60.000
32.000

32.000
3.500.000
10.000.000
13.500.000
5.185.000
1.170.000
6.355.000
89.000
2.700
91.700
210.000
150.000
360.000
20.000
160.000
180.000
270.825
62.000
332.825
24.338
3.000.000[3]
3.024.338
240.000
60.000
300.000
2.060.000
1.700.000
3.760.000
740.000
950.000
1.690.000
42.042
1.148
43.190
10.000

10.000
22.000
198.000
220.000
7.500
2.500
10.000
100.000
130.000
230.000
57.000
943.000
1.000.000
300.000
5.700.000
6.000.000
378.000

378.000
13.000.000
14.000.000
27.000.000
9.000

9.000
20.000
70.000
90.000
360.000
590.000
950.000
407.316

407.316





Trier


In diesen Zahlen sind 6 Millionen Juden und andere zivile Opfer noch gar nicht erfasst.

Vielmehr gibt es gar nicht zu sagen.

Außer vielleicht, dass die gesamte Bundesrepublik diesen Tag als offiziellen stillen Gedenk- und Feiertag begehen sollte, nicht nur das Bundesland Berlin.
Man könnte aller Toten und der Befreiung gedenken.
Heute, 75 Jahre nach Kriegsende, wären wir dazu in der Lage. 1985 wäre ein solcher Schritt für die meisten noch undenkbar gewesen.


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